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Die Diversity-Party wird großartig sein!
Neujahrsempfang mit Rassismusforscher Lorenz Narku Laing
TEXT: BETTINA VON CLAUSEWITZ | FOTO: ALEXANDRA ROTH
Essen, 28.11.2025. Nur wenn Menschen bereit sind, sich ihr diskriminierendes Verhalten gegenseitig zu vergeben, kann es eine vielfältige und gleichberechtigte Gesellschaft geben, davon ist der Rassismusforscher Lorenz Narku Laing überzeugt. Beim Neujahrsempfang der Evangelischen Kirche in Essen sprach er am 28. November zum Auftakt des neuen Kirchenjahres zum Thema „Vielfalt braucht Vergebung. Das Rezept für eine diskriminierungsfreie Gesellschaft“.
Wenn es darum geht, den alltäglichen Rassismus in der deutschen Gesellschaft zu beschreiben, kann Lorenz Narku Laing sich in einem meterlangen Regal voller eigener Erfahrungen bedienen. Dann erzählt er etwa wie beim Neujahrsempfang der Evangelischen Kirche freisprechend und raumgreifend auf der kleinen Bühne der Marktkirche von der Immobiliensuche in Essen für seine Familie mit drei Kindern und das eigene Beratungsunternehmen Vielfaltsprojekte GmbH, über das er Wirtschaftsunternehmen, Sozialverbände, Kirchen oder Kultureinrichtungen bundesweit berät.
BEWEGENDE PERSÖNLICHE ERFAHRUNGEN
Zur Hausbesichtigung jedoch wurde der anerkannte Diversity-Experte erst eingeladen, als er seinen fremd klingenden Namen verschwieg und als „Dr. Lorenz“ auftrat. Es sei eine „strategische Entscheidung“ seiner Eltern mit jamaikanischen Wurzeln gewesen, ihn mit erstem Vornamen Lorenz zu nennen, denn sie wussten sehr wohl um die Vorurteile gegenüber Menschen migrantischer Herkunft in Deutschland, sagt Laing heute. Auch mit einem weiteren akademischen Titel hätte er jetzt punkten können, denn der 33-Jährige Sozialwissenschaftler an der Evangelischen Hochschule Rheinland-Westfalen-Lippe in Bochum ist der erste schwarze Rassismusforscher bundesweit, er erhielt zahlreiche Auszeichnungen wie etwa den German Diversity Award 2023 und war Mitglied im Expert*innenrat Antirassismus der letzten Bundesregierung.
Kein Wunder also, dass er dem Türsteher einer Disko in Rüttenscheid kürzlich selbstbewusst sagen konnte: „Googeln Sie mich doch einfach!“. Und dann wurden er und seine beiden Begleiter widerwillig eingelassen, „drei schwarze Männer“ wie Laing die kleine Gruppe in der weißen Außenwahrnehmung und in unterhaltsamer Erzählung vor den Gästen des Neujahrsempfangs aus Kirche, Gesellschaft und Kommunalpolitik beschreibt.
„Viele Menschen haben ein Problem mit Vielfalt in der Gesellschaft“, fasst er seine lebenslangen Erfahrungen zusammen. Wie verletzend und gegen alle Menschenwürde das ist, erschließt Laing durch ein messerscharfes Zitat der in die USA emigrierten jüdischen Publizistin Hannah Arendt: „Mit der Diskriminierung erfand der Mensch das soziale Mordinstrument, mit dem man Menschen umbringen kann, ohne sie anzufassen.“
GESELLSCHAFT OHNE DISKRIMINIERUNG IST DAS ZIEL
Eine diskriminierungsfreie Gesellschaft ist auch das Anliegen demokratischer Politik. In einem Grußwort forderte der Essener Oberbürgermeister und ehemalige Integrationsbeauftragte der NRW-Landesregierung, Thomas Kufen (CDU), dazu auf, den Dialog für Vielfalt in der Stadtgesellschaft weiterhin gemeinsam zu fördern und für ein friedliches Miteinander einzustehen. Es gebe Kräfte, die die Grundwerte der Demokratie in Frage stellten. „Das dürfen wir nicht hinnehmen“, erklärte Kufen. Demgegenüber sei es wichtig, „deutlich zu machen, wo die Grenzen sind“.
Superintendentin Marion Greve nannte zum Abschied vom alten Kirchenjahr und mit Blick auf das am 1. Advent beginnende neue die Jahreslosung 2026 „Gott spricht: Siehe ich mache alles neu!“ (Offenbarung 21,5). Die bereits bestehende Vernetzung vieler Akteure in der Stadtgesellschaft bezeichnete sie als „starke Ressource für die ganze Stadt“ und als gemeinsame Stärke. Auch die Wahl von Lorenz Narku Laing in die Kirchenleitung der Evangelischen Kirche im Rheinland Anfang 2025 begrüßte Greve als Zeichen der Vielfalt.
POSITIVE ENTWICKLUNG ZEICHNET SICH AB
Während manche Beobachter und Betroffene von zunehmender Fremdenfeindlichkeit und Spaltung der Gesellschaft sprechen, sieht Rassismusforscher Laing jedoch in der Summe eine positive Entwicklung hin zu mehr gesellschaftlicher Vielfalt in Deutschland. Trotz anhaltender Diskriminierung schaffe die Demokratie immer mehr Rechte für Menschen der BIPoC-Community wie ihn selbst als schwarzen Deutschen, für benachteiligte Frauen, für Homosexuelle oder Menschen mit Behinderung. „Ich sehe eine neue Gesellschaft, in der Vielfalt normal und alltäglich ist und ungemein viele Chancen für alle bietet“, sagte Laing. „Die Diversity Party wird großartig sein!“, so seine hoffnungsvolle Prophezeihung.
Ganz ausdrücklich trägt sie auch dem Alter des 33-Jährigen und der demografischen Entwicklung Rechnung. Schon jetzt hätten viele Menschen in Deutschland einen Migrationshintergrund, in Kindergärten seien es oft mehr als die Hälfte, Tendenz steigend, und bei den unter 25-Jährigen zähle sich etwa ein Fünftel zur BIPoC-Community, erklärte Laing. Auch wenn der bundesweite gefragte Diversity-Experte einräumt: „In den Räumen, wo entschieden wird, bin ich meistens der Einzige, der so dunkel ist“, sei es auf Leitungsebene bei Dax-Unternehmen oder in der Kirche. In einigen Jahrzehnten jedoch werde „die vielfältige Gesellschaft überall der größte Teil“ sein.
VERSPRECHEN DES GRUNDGESETZES
Als zentrale Instrumente auf dem Weg dorthin sieht Laing die Umsetzung der „Versprechen des Grundgesetzes“. Dort gehe es in Artikel 1 nicht nur um die Gleichheit aller Menschen, um soziale und politische Gleichheit als Grundlage der Demokratie insgesamt. Wichtig für ihn sei auch die Präambel, die von „Verantwortung vor Gott und den Menschen“ spreche. „Wir brauchen ein positives Programm und eine Praxis des Teilens“, forderte Laing, „Vielfalt braucht Vergebung“. Dazu würden etwa Kirchen, Gewerkschaften, Journalismus oder soziale Berufe bereits viel beitragen.
„Wir bekämpfen nicht weiße Menschen, wir bekämpfen Rassismus“, zitierte Laing sein Vorbild Martin Luther King. Rassismus sei eine Sünde, die bekämpft werden müsse, aber nicht die Menschen mit ihren Fehlern. Als Christ habe er sich angewöhnt Menschen, die ihn etwa im Taxi oder auf der Straße rassistisch beleidigten, zu fragen: „Wie geht es dir?“ Eine entwaffnende Frage, so seine Erfahrung, die neue Beziehungen schafft. Und sie signalisiert eine positive Haltung, die den humorvollen Diversity-Streiter mit dem großen Erzähltalent offenbar vor Resignation und Bitterkeit schützt: „Weil ich jeden Tag vergeben kann“, sagt er, „bleibe ich glücklich.“
